Es ist einer der Tage, an denen ich mit keinen Überraschungen rechne.
Alle meine Patientinnen und Patienten und deren Anliegen sind mir bekannt.
Die anstehenden Behandlungen sind bereits im Vorfeld festgelegt worden.
Ich habe daher die Termine ohne Zeitpuffer geplant.
Hin und wieder genieße ich die unaufgeregte Routine solcher Arbeitstage. Aber an diesem Montagmorgen, Anfang Mai 2020, sollte mich mein erster Patient doch tatsächlich aus dem Takt bringen.
Der Patient, der mich überraschte
Für gewöhnlich kommt mein Patient, Ende 70, nennen wir ihn Erwin, zehn Minuten vor dem vereinbarten Termin. Wenn ich ihm öffne, erklärt er sofort verschmitzt: „Ich weiß, ich bin mal wieder zu früh dran. Aber ich kann es einfach nicht lassen.“ Man kann ihm nicht böse sein.
„Das macht überhaupt nichts“, entgegne ich in diesem Fall immer. „Kommen Sie herein und fühlen Sie sich wie zu Hause.“
Erwin geht dann in das Behandlungszimmer und macht es sich sofort auf der Massageliege bequem. Er freut sich auf die monatliche Fußreflexzonenmassage. Seit ich ihn von einem früheren Leiden mit eben dieser Methode befreit habe, kommt er regelmäßig zur Behandlung.
„Damit ja nicht wieder etwas entsteht“, erklärt Erwin. „Und außerdem tut es einfach gut und entspannt rundum.“
Ich schalte in der Zwischenzeit die Entspannungsmusik ein und das Telefon aus und folge ihm in das Behandlungszimmer.
„Alles gut bei Ihnen, Frau Witschas?“ Er schaut mich an.
„Ja, danke. Alles bestens. Wie immer. Und bei Ihnen?“ Ich setze mich auf meinen Rollhocker.
„Danke, ich kann nicht klagen. Wenn es so bleibt, dann bin ich zufrieden.“ Entspannt lehnt er sich zurück.
„Na, dann hätten wir ja das Wichtigste für heute schon besprochen“, erwidere ich und beginne mit der Fußreflexzonenmassage.
Es ist ein kleines Ritual, das mit den Jahren entstand und das uns doch immer wieder schmunzeln lässt.
Heute ist jedoch alles anders
Es ist 7:50 Uhr. Ich warte. Es ist 7:55 Uhr. Ich warte noch immer. Es ist 8:00 Uhr. Ich frage mich gerade, ob ich noch warten oder ob ich Erwin anrufen soll, als es auch schon an der Praxistür klingelt.
Ich öffne und Erwin begrüßt mich mit den Worten: „Guten Morgen, Frau Witschas. Heute bin ich mal pünktlich.“
„In der Tat“, entgegne ich. „Ich dachte schon, Sie hätten den Termin vergessen.“
Ich stelle fest, dass ich ein wenig aus dem Konzept gekommen bin. „Machen Sie es sich doch bitte auf der Massageliege bequem. Ich bin gleich bei Ihnen.“
Schlaflos in Malsch
Als ich ins Behandlungszimmer komme, stelle ich fest, dass Erwin nicht auf der Liege zu finden ist, sondern auf einem Stuhl. Ich setze mich ihm gegenüber, und noch bevor ich etwas sagen kann, fragt mich Erwin, wie ich letzte Nacht denn geschlafen hätte.
Ich runzle meine Denkerstirn und schaue ihn verwundert an. Nachdem ich kundgetan habe, dass ich gut geschlafen hatte erfahre ich, dass er eine schlaflose Nacht hinter sich hat. Überhaupt hätte er seit einigen Nächten einen sehr schlechten Schlaf. Er wache immer um die gleiche Uhrzeit mit den immer gleichen Schmerzen auf.
Er wäre schon beim Hausarzt gewesen. Das Blutbild sei unauffällig. Jetzt hat er noch einen Termin beim Orthopäden. Aber er sei sich nicht ganz sicher, ob der ihm helfen könne.
Erwin schaut mich mit einer Mischung aus Verzweiflung und hoffnungsvoller Erwartung an.
Fragen über Fragen
Wie ich ihm so zuhöre, bekomme ich das Gefühl, dass er etwas anderes auf dem Herzen hat als seine schmerzvoll durchwachten Nächte.
Vorsichtig beginne ich zu fragen: Wo verspüren Sie denn die Schmerzen? Wie stark sind sie? Wie würden Sie die Schmerzen beschreiben? Um welche Uhrzeit genau werden Sie wach? Und wie lange geht das schon so?
Also erfahre ich von Erwin, dass er seit zwei Wochen nicht mehr durchschläft und immer um exakt vier Uhr morgens aufwacht. Die Schmerzen seien beidseitig. Als ich ihn auffordere mir zu zeigen wo genau diese Schmerzen sind, stelle ich fest, dass es die Nierengegend ist, die sich ihm mitteilt.
Ich überlege kurz:
Alle unsere Organe haben eine bestimmte Uhrzeit, in der sie sehr aktiv sind, und ebenso eine Uhrzeit, in der sie sozusagen „schlafen“.
Ich weiß auch, dass die Lunge zwischen drei und fünf Uhr morgens die stärkste Aktivität zeigt. Aber die Nieren arbeiten erst zwischen 17 und 19 Uhr auf Hochtouren.
Ich hatte das Gefühl, dass mir noch ein Puzzleteil fehlt, um das Ganze zu sehen.
Noch mehr Fragen
Als ich wissen will, ob ihm etwas Sorgen bereitet oder irgend etwas vorgefallen sei, das ihn beschäftigt, bekomme ich sofort zur Antwort, dass alles in Ordnung sei. Er hätte keine Probleme. Seiner Frau ginge es auch gut. Er hätte keinen Grund zu klagen.
Nachdenklich schaue ich ihn an. Mein Gefühl sagt mir, dass da noch mehr sein muss.
Ich gebe vor, sehr ratlos zu sein und schlage ihm vor, mal einen Blick in mein Buch zum Thema „Organuhr“ zu werfen.
„Die Lunge ist das Organ, welches für Mut, Distanz und Loslassen steht“, lese ich Erwin vor. „Und die Niere ist das Organ, das für Furcht, Angst und die Beziehung zu anderen Menschen steht.“
Die entscheidende Frage
Unschuldig schaue ich Erwin an und frage ihn: „Was war denn vor genau zwei Wochen Besonderes? Gab es vielleicht ein Erlebnis, von dem Sie sich nicht distanzieren können, weil Ihnen der Mut dazu fehlt?
„Ja, Sie haben recht“, meint Erwin. „Da gibt es schon etwas, das mich sehr belastet.“
Und jetzt muss ich keine Fragen mehr stellen, denn Erwin redet sich alles von der Seele.
Belastendes ganz einfach loslassen
Ich sehe, dass ihm nicht die Schlaflosigkeit Sorgen bereitet, sondern sein Gedankenkreisen um das Erlebte. Aus Erfahrung weiß ich, dass Erwin offen für Neues ist und schlage ihm vor, einfach ein Experiment mit mir zu machen.
Während er an sein belastendes Erlebnis denkt, führe ich eine Übung durch, die seine beiden Gehirnhälften sozusagen in „Gleichklang“ bringt. Dies führt dazu, dass das damit verbundene negative Gefühl sofort weg ist und man sich unmittelbar besser fühlt.
Ich lasse Erwin noch an einige andere Dinge denken, die in Zusammenhang mit dem Erlebten stehen und wiederhole die Übung noch mehrere Male.
Als wir uns verabschieden, meint Erwin, dass er sich doch tatsächlich schon viel besser und um ein ganzes Stück leichter fühlt. „Und das alles sogar ohne Fußreflexzonenmassage“, fügt er augenzwinkernd hinzu.
Der glückliche Patient
Seit diesem Tag schläft Erwin wieder jede Nacht durch, hat keine Schmerzen mehr und kann sich inzwischen gut distanzieren. Er genießt wieder die monatliche Fußreflexzonenmassage und ist ganz eins mit sich selbst.
Doch kürzlich meinte er: „Frau Witschas, Sie haben mir ja neulich so gut geholfen. Ich hätte da jetzt ein anderes Problem. Seit einigen Tagen weckt mich meine Katze jeden Morgen um exakt drei Uhr. Hätten Sie dafür vielleicht auch eine Lösung …?“
Wenn auch Sie Unangenehmes oder Belastendes loslassen möchten, helfe ich Ihnen gerne dabei. Scheuen Sie sich nicht, um Hilfe zu bitten.
Es grüßt Sie herzlich
Susanne Witschas
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